Freitag, 29. Januar 2010

Renault Scénic: Ein Hauch von Eleganz

Kompaktvans sind ein fades Autosegment, geprägt von blasser Optik, durchschnittlicher Technik, nullkommanull Exzentrik. Es sind Mobile zum Fahren von A nach B für Menschen, denen es mehr auf innere Werte ankommt. Der Renault Scénic versucht, ein bisschen mehr zu sein.
Neun Prozent am gesamten deutschen Neuwagenmarkt im vergangenen Jahr, in absoluten Zahlen waren das 342.521 Autos - so lauten die Kennzahlen des Van-Segments in der Statistik des Kraftfahrt-Bundesamts in Flensburg. Im Straßenalltag fallen die leicht aufgedunsenen Familienautos kaum auf, für die Hersteller jedoch haben sie eine große Bedeutung. Denn es geht um Autos, deren Einstiegspreise meist mindestens 20.000 Euro betragen und es geht um eine potentielle Kundschaft, oft jüngere Familien mit Kindern, die beim nächsten Autokauf womöglich zu einem noch teureren Modell des gleichen Herstellers greift.

Unter den Monospace-Modellen fahren inzwischen die Kompakt-Vans voraus, rund 4,40 Meter lang und so etwas wie die automobile Entsprechung der Strickjacke: nicht besonders chic, aber praktisch und herrlich bequem. Abgeleitet sind die Kompakt-Vans von den jeweiligen Kompaktwagen-Baureihen der Hersteller. Der Platzhirsch VW Touran etwa vom VW Golf, der Ford C-Max vom Ford Focus und der Renault Scénic vom Renault Mégane. Der Renault Scénic, dessen Vorvorgänger 1996 die Pkw-Klasse begründete, tritt inzwischen in der dritten Generation an - und will ein bisschen mehr sein als eine biedere Familienkutsche. Sozusagen eine Strickjacke aus Glitzerwolle.

Äußerlich klappt das ganz gut, die Karosserie wirkt nicht ganz so kastenförmig wie es bei vielen Konkurrenzmodellen der Fall ist. Schwungvolle Linien, durch Chromeinfassungen betonte Lufteinlässe an der Frontpartie sowie originell aber nicht albern gestaltete Scheinwerfer vorn und hinten machen das Auto optisch zu einem recht ansehnlichen Kompakt-Van.
Auch im Innenraum bemüht sich Renault um ein vergleichsweise avantgardistisches Erscheinungsbild, doch das gelingt nur oberflächlich. Die Gestaltung der Armaturentafel mit den zentral angeordneten Anzeigeinstrumenten und den schmissig integrierten Luftausströmern ist rein optisch gelungen; ergonomisch allerdings ergeben sich Probleme. Denn wenn ein durchschnittlich großer Fahrer - sagen wir: Körpergröße 1,82 Meter - den Sitz korrekt einstellt, sieht er das Display des Zentralcockpits nur noch teilweise, weil die Sonnenblende direkt über den Instrumenten den Blick versperrt. Und überhaupt muss man kritisieren, dass die Anzeigen zwar hübsch verspielt aussehen, aber leider nicht auf den ersten Blick ablesbar sind.

Schieben, klappen, ausbauen - Sitze nach dem Baukastenprinzip

Nichts zu mäkeln gibt es am Rest des Innenraums. Das Platzangebot des gegenüber dem Vorgängermodell um 8,5 Zentimeter länger gewordenen Scénic ist prima, die Variabilität beispielhaft. So kann die Lehne des Beifahrersitzes nach vorne umgeklappt werden und die drei Einzelsitze in Reihe zwei können um 15 Zentimeter in Längsrichtung verschoben werden, ihre Lehnen lassen sich in der Neigung verstellen oder nach vorne umklappen und bei Bedarf können die gut 16 Kilogramm schweren Sitze auch einzeln ausgebaut werden. Für den Gepäckraum bedeutet das ein Volumen von 470 bis 1870 Liter.

Im Motorraum unseres Testwagens mit dem Typenkürzel dCi 130 FAP grummelte der überarbeitete 1,9-Liter-Dieselmotor der 130 PS leistet, ein maximales Drehmoment von 300 Nm bereitstellt und im Schnitt 5,5 Liter Kraftstoff je 100 Kilometer verbrennt, was umgerechnet 145 Gramm CO2 je Kilometer ergibt. Ganz so sparsam waren wir allerdings nicht unterwegs. Im Testdurchschnitt bei gemischter Fahrweise ergab sich ein Durchschnittsverbrauch von 6,9 Liter je 100 Kilometer - besonderes Lob gibt es dafür nicht.

Das erhält die Maschine allerdings für ihre Kraftentfaltung und die hohe Laufkultur. Der Motor lässt sich mit dem gut gestuften Sechsgang-Getriebe jederzeit bei Laune halten und passt sehr gut zum Auto, das ja ein entspannter Familien- und Reisewagen sein möchte, und kein Kurvenkratzer. Hervorzuheben ist auch, vom Getöse beim Kaltstart einmal abgesehen, das erstaunlich niedrige Geräuschniveau der Maschine. Auch bei Autobahn-Richtgeschwindigkeit flüstert der keineswegs schnittige Wagen nur so dahin.

250 neue Roboter und ein Checkman verbessern die Qualität

Was noch auffällt, wenn man sich im Auto ein bisschen umschaut, im Kofferraum unter die Verkleidungen linst und hier und da mal etwas kräftiger zupft oder zerrt: der Scénic wirkt grundsolide. Das war nicht immer so bei Fabrikaten aus dem Hause Renault. Doch im französischen Werk Douai, wo der Scénic gebaut wird, wurden für die Fertigung des neuen Modells 250 neue Roboter angeschafft, die Mitarbeiter in 28.000 Trainingsstunden und speziellen Geschicklichkeitskursen geschult - und es gibt jetzt in jedem Produktionsabschnitt einen so genannten Checkman. Der soll Patzer beim Zusammenbau erkennen und gleich abstellen.

Der Renault Scénic ist, das lässt sich nach dem näheren Kennenlernen schon sagen, ein ziemlich ausgereiftes Auto. Wobei das nicht an einigen tollen Besonderheiten liegt, sondern an der Summe zahlreicher überzeugender Details. Wäre das Auto eine Strickjacke, man hätte gute Lust, sie jeden Tag anzuziehen.

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